ITP Informationen für Patienten und Eltern
Was sind Thrombozyten (Blutplättchen)?
Thrombozyten sind Blutzellen, deren Aufgabe es ist, unsere Gefäße abzudichten und bei Verletzungen durch Bildung eines Pfropfes eine vorläufige Blutstillung zu bewirken bis die endgültige Blutgerinnung eintritt.
Normalerweise haben wir 150 - 450 000/µl Thrombozyten, die, wie die anderen Blutzellen, im Knochenmark gebildet werden und ca. 10 – 12 Tage im Blutstrom kreisen, bis sie in der Milz abgebaut werden.
Was ist eine ITP?
ITP ist die Abkürzung für Immun-Thrombozytopenische Purpura und bedeutet: Blau-rote Flecken (=Purpura) bei Verringerung der Thrombo¬zyten durch Immunmecha¬nismen.
Das Immunsystem (=Abwehrsystem) hat die Aufgabe, unseren Körper vor Fremdem, Schädlichem zu schützen. Es kann normalerweise eigenes und fremdes sehr gut unterscheiden. Bei der ITP wird, bei Kindern meist ausgelöst durch einen Virusinfekt (= Erkältung), das Immunsystem so verändert, dass es die eigenen Thrombozyten nicht mehr als eigen sondern als fremd ansieht und sie deshalb vernichtet. Die Thrombozyten werden mit Abwehrstoffen (= Antikörpern) beladen und, kaum sind sie aus dem Knochenmark ins Blut ausgeworfen worden, nach wenigen Minuten in der Milz zerstört. Das Knochenmark wird durch das vorzeitige Verschwinden der Thrombozyten aus dem Blut gezwungen, sehr rasch neue Thrombozyten nachzuliefern. Diese überstürzt gebildeten sind wesentlich größer als die unter normalen Bedingungen gebildeten Thrombozyten. Die wenigen Thrombozyten, die man bei ITP-Patienten findet, sind überwiegend sehr groß und funktionieren auch sehr gut: ein Thrombozyt, der 10 mal größer ist als ein normaler, arbeitet auch 10 mal besser. Wichtig zu wissen ist, dass diese sehr großen Thrombozyten von den Meßgeräten im Labor überhaupt nicht gezählt werden können, da sie wegen ihrer Größe gar nicht als Thrombozyten erkannt werden.
Eine ITP hat nichts mit einer Leukämie zu tun und kann auch nicht zu einer Leukämie werden.
In einigen wenigen Fällen werden durch die Antikörper schon die Megakaryozyten, aus denen die Thrombozyten entstehen, zerstört. In diesen Fällen ist die Thrombopenie das Ergebnis einer verminderten Bildung und einer vorzeitigen Zerstörung der vorhandenen Thrombozyten.
Wie häufig ist die ITP bei Kindern?
Pro Jahr bekommen ca. 4 von 100 000 Kindern unter 14 Jahren eine ITP
Wie stellt man eine ITP fest?
Die meisten Kinder haben aus völliger Gesundheit heraus plötzlich viele blaue Flecken (=Hämatome) ohne sich gestoßen zu haben und/oder viele winzig kleine rote Punkte (=Petechien) auf der Haut. Ca 20-25% der Kinder haben Blutungen aus Nase und/oder Zahnfleisch, die aber meistens spontan aufhören. Blutungen aus Blase oder Darm sind sehr selten, schwere innere Blutungen (z.B. Hirnblutungen) extrem selten.
Bei der ITP sind die Thrombozyten, von denen die meisten sehr groß sind, fast immer unter 20 000/µl während die weissen (=Leukozyten) und roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und alle anderen Blutbildwerte normal sind. Eine Knochenmarkspunktion zum Ausschluß einer Leukämie ist nicht notwendig wenn Untersuchungs¬befund und Blutbild (bis auf die niedrigen Thrombozytenzahlen) normal sind.
Wie wird die ITP behandelt?
Es gibt kein Medikament, das die ITP beenden kann. Medikamente können nur zu einem kurzfristigen Anstieg der Thrombozyten führen. Die meisten Kinder mit ITP haben auch bei sehr niedrigen Thrombozytenzahlen keine Schleimhautblutungen.
Die ITP bildet sich bei fast allen Kindern spontan zurück: nach 1 Woche haben 15%, nach 6 Wochen 60%, nach 6 Monaten 80%, nach 12 Monaten 90% aller Kinder wieder normale Thrombozytenwerte (=Remission). Auch wenn die ITP länger als 1 Jahr dauert, kann sie sich jederzeit noch zurückbilden. Chronische ITP bedeutet nicht, dass sie lebenslänglich ist.
Internationale und deutsche Leitlinien empfehlen, bei der ITP von Kindern abzuwarten - unabhängig von den Thrombozytenwerten. Bei Schleimhautblutungen (Nase, Zahnfleich, Blase) reicht eine 3-4 tägige Cortison-Gabe in aller Regel aus, um die Blutung zu stillen.
Leider glauben in Deutschland ca. 80% der Ärzte immer noch, dass die niedrigen Thrombozytenzahlen unbedingt durch Medikamente, z. B. Immunglobulin, angehoben werden müssen, um eine Hirnblutung zu verhindern, auch bei Kindern die lediglich blaue Flecken, aber keine Blutungen aus der Schleimhaut haben. Die oft schweren Nebenwirkungen der Immunglobuline werden in Kauf genommen, obwohl Immunglobuline eine Hirn¬blutung nicht verhindern können.
In Deutschland sind es nur ca. 20% der Ärzte, die sich leitliniengerecht verhalten und die bei einem Kind mit niedrigen Thrombo¬zyten, das nicht blutet, abwarten und keine Medikamente geben. In England sind es inzwischen mehr als 80%. Es ist dadurch nicht zu einem Anstieg von Hirnblutungen gekommen. Und es ist erwiesen, dass die Lebensqualität von ITP-Kindern, die grundlos behandelt werden, schlechter ist als bei Kindern, bei denen abgewartet wird.
Niedrige Thrombozytenwerte allein sind kein Grund zur Behandlung mit Immunglobulin. Eine Behandlung brauchen lediglich Kinder mit Schleimhautblutungen (Nase, Zahnfleisch, Blase) die sich nicht spontan zurückbilden und die das Allgemeinbefinden beeinträchtigen.
Bei einer solchen Blutung reicht es aus, für 3-4 Tage Cortison zu geben (2mg pro kg Körpergewicht); nicht weil durch 3 Tage Cortison die Thrombozyten merklich ansteigen, sondern weil Cortison die Blutgefäße dichter macht und so die Blutung stoppt. Eine längere Cortisonbehandlung, um einen Anstieg der Thrombozyten zu erzielen, hat sehr unangenehme Nebenwirkungen. Im Übrigen fallen die Thrombozytenwerte nach Absetzen des Cortisons rasch wieder ab.
Bei Mädchen, die ihre Periode haben, ist manchmal die Monatsblutung stärker als vorher. Bei sehr starker Blutung kann durch eine Hormonbehandlung (Pille) die Blutung abgeschwächt werden.
Immunglobuline sollten nur dann gegeben werden, wenn es dringend notwendig ist, sehr schnell die Thrombozytenwerte anzuheben (unaufschiebbare Operation, schwere innere Blutung)
Nebenwirkungen von Cortison bzw. Immunglobulin
Wenn Cortison länger als 2 Wochen gegeben wird: Gewichtszunahme, unreine Haut, Verhaltensstörungen (Aggressivität), evtl. hoher Blutdruck. Bei Gabe über längere Zeit: Wachstumsstillstand; Unterdrückung der Plättchenproduktion.
Immunglobuline müssen über eine Infusion in die Vene gegeben werden. In ca. 30% kommt es zu Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Hirnhautreizung.
Wie verhalte ich mich bei ITP?
Ein stationärer Aufenthalt bei der Diagnosestellung ist nur in Ausnahmefällen (z.B. erhebliche Schleimhautblutung) notwendig.
Kinder können in den Kindergarten bzw. in die Schule gehen. Allerdings muß jede Aktivität, bei der es zu einem Sturz aus einer Höhe kommen kann (Klettergerüst, Barren, Reck, Ringe, Kletterwand) vermieden werden. Alle anderen Sportarten sind mit entsprechendem Schutz (Helm) erlaubt, ebenfalls Reisen inklusive Fliegen.
Vermieden werden sollen vor allem Aspirin aber auch alle anderen Medikamente, die nicht absolut notwendig sind, da es kein Medikament gibt, das nicht die Funktion der Thrombozyten einschränken kann. Jedes Kind mit ITP sollte einen Ausweis dabeihaben, aus dem Diagnose und Anschrift des betreuenden Arztes hervorgeht.
Wie häufig soll das Blutbild kontrolliert werden?
Wenn man sich mit einer Therapie nicht danach richtet, wie niedrig die Thrombozyten sind, sondern ob eine Kind blutet, braucht man nur wenige Blutbildkontrollen. Die Kontrolle macht man, um herauszufinden, ob die ITP vorbei ist:
nach 1 Woche, nach 6 Wochen, nach 3 bzw. 6 Monaten. Dauert die ITP länger als 12 Monate, spricht man von einer chronischen ITP. Eine Blutbildkontrolle bei chronischer ITP ist sinnvoll, wenn über mehrere Wochen keine blauen Flecken mehr aufgetreten sind (Remission?), sonst alle 6 Monate.
Verhalten bei chronischer ITP
Nach 6 Monaten haben noch 20%, nach 12 Monaten nur noch 10% der ITP-Kinder niedrige Thrombozyten. Diese Kinder haben eine chronische ITP. Mehr als 90% der Kinder mit chronischer ITP haben zwar niedrige Thrombozytenwerte, aber keine Schleimhautblutungen bis auf gelegent¬liches Nasen-oder Zahnfleischbluten bei viralen Infekten (Erkältungen). Solche Blutungen können gestoppt werden durch Cortison für 3 Tage, 2mg / kg Körpergewicht pro Tag. Cortisontabletten sollten zu diesem Zweck immer zur Hand sein.
Sport ist erlaubt bis auf die schon erwähnten Sportarten, bei denen man aus einer Höhe herunterfallen und sich evtl. den Kopf verletzen kann.
Wenn ein chirurgischer Eingriff geplant ist (z.B. Ziehen eines Zahnes) können die Thrombozyten gezielt durch Cortison über 5-7 Tage in den für den Eingriff erforderlichen Bereich (meist > 50 000) gebracht werden. Müssen die Thrombozyten sehr rasch angehoben werden, z. B. bei einer schweren Blutung oder für einen ungeplanten, unaufschiebbaren Eingriff (z.B. Blinddarm-Operation), wird Immunglobulin und/oder hochdosiertes Cortison eingesetzt.
Weniger als 10% der Kinder mit chronischer ITP haben ständig oder sehr häufig Blutungen. Evtl. sind dies z. T. Kinder, bei denen auch die Thrombozytenbildung gestört ist. Diese Kinder brauchen eine sehr intensive Betreuung durch einen Kinder-Hämatologen, der sich mit der ITP auskennt, weil in diesen Fällen oft eine Fülle von Medikamenten eingesetzt werden muß in dem Bemühen, die Blutungsneigung zu vermindern. Mit den neueren Medikamenten (Thrombopoietin-Rezeptor-Analoga), die seit einigen Jahren bei Erwachsenen eingesetzt werden, um die Thrombozytenbildung zu steigern, gibt es bei Kindern noch wenig Erfahrung. In seltenen Fällen, z. B. bei Kindern, die ständige Schleimhautblutungen haben und die auf kein anderes Medikament ansprechen, kann es sinnvoll sein, sie einzusetzen - aber nicht, um lediglich niedrige Thrombozytenwerte anzuheben. In extrem seltenen Fällen ist heute noch die Entfernung der Milz notwendig.
Zusammenfassung
Die ITP bei Kindern ist eine Erkrankung, die in 90% innerhalb eines Jahres ohne Behandlung ausheilt. Sie hat nichts mit einer Leukämie zu tun. Komplikationen wie Hirnblutungen sind extrem selten (weniger als 0,1%) und diese sind trotz Therapie mit Immunglobulinen aufgetreten. Die meisten Kinder mit niedrigen Thrombozyten (auch weniger als 10 000/µl) haben nur blaue Flecken, aber keine Schleimhautblutungen und brauchen keine Therapie. Eine Behandlung mit Cortison über 3 Tage reicht aus bei Schleimhautblutungen, die nicht von selber aufhören. Immunglobuline werden nur in Notfall - und Ausnahmesituationen gebraucht.
Gesunder Menschenverstand – Vermeiden von risikoreichen Sportarten und unnötigen Medikamenten – schützt besser vor schweren Blutungen als die Behandlung eines Laborwertes mit Immunglobulin oder Cortison über längere Zeit. Die Nebenwirkungen dieser Medikamente sind oft schlimmer als die ITP selbst.
März 2022
Dr. med. Roswitha Dickerhoff